INSIDE FAST FASHION

Inside Fast Fashion

TEXT Meryem Sener

 

Thi Nyguen nähte bei 40 Grad in einer vietnamesischen Textilfabrik. Was nicht gerade nach einem Traumpraktikum klingt, sieht sie als Erfahrung – sie erlebte hautnah, wovon die meisten Konsumentinnen und Konsumenten nur hören.

 

Spätestens seit die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch einstürzte und mehr als 1.100 Menschen unter sich begrub, ist klar: Unsere Kleidung wird von Menschen hergestellt, die unter problematischen, oftmals lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten. Das Bewusstsein für diese Umstände mag zwar gestiegen sein, doch ein richtiges Umdenken hat in den meisten Köpfen noch nicht stattgefunden. Dafür sind diese Textilfabriken wohl zu weit weg von unserem Alltag.

 

„Ich finde, es ist wichtig zu wissen, woher die Kleidung kommt, die man trägt.“ Thi Nyguen, 23 Jahre alt, studiert Mode Design an der AMD Akademie Mode & Design in München. Sie beschäftigt sich täglich mit Textilien, Schnitten und Nähten. Als das Praktikumssemester näher rückte, entschieden sich ihre Mitstudentinnen für angesagte und bekannte Labels. Thi bewarb sich bei einer Textilfabrik in der vietnamesischen Küstenstadt Haiphong, etwa zwei Autostunden von der Hauptstadt Hanoi. Auch die Marke Seidensticker hat eine Produktionsstätte in der drittgrößten Stadt Vietnams.

 

Zum Anhören – Thi erzählt ihre Erlebnisse:

 

 

„Ich dachte mir, ich bin noch nicht so gut im Nähen, ich brauche das Handwerkliche. Deswegen wollte ich sehen, wie die das machen. Einerseits machte ich das also für mich, andererseits habe ich mir gedacht: Wo fängt alles an?“ This Cousine half bei der Bewerbung und stellte sie vor. Sie ist selbst Näherin in der Fabrik, sogar hochschwanger kam sie bis zum achten Monat jeden Tag in die Arbeit.

Die Studentin, die selbst vietnamesische Wurzeln hat, tauchte so für drei Monate in die asiatische Fast-Fashion-Produktion ein.

Mittendrin in der Fast Fashion Produktion

 

„In den ersten zwei Wochen hab ich mich jeden Abend erstmal aufs Bett gesetzt und geweint. Es ist körperlich anstrengend, es ist eine ganz andere Arbeitsatmosphäre als ich es vom Nähunterricht an der Uni gewohnt bin.“ Thi war in allen Segmenten der Firma beschäftigt. Anfangs arbeitete sie in der Nähfabrik, bis sie genauso schnell wie ihre Kolleginnen war. „Ich habe am ersten Tag über 200 Bündchen genäht, doch selbst das war für die dortigen Vorgaben zu langsam.“ Dann übernahm sie andere Aufgaben, wie die Schnitte und Nähproben. Die Studentin arbeitete von 7.00 bis 17.00 Uhr – mindestens. Da die Mitarbeiter nach Produktzahlen bezahlt werden, kamen auch viele schon um 6.00 Uhr, machten Überstunden. „Weil im Sommer die Kollektionen für den Winter produziert werden, habe ich teilweise bei 40 Grad genäht, man sitzt da unter Bergen von Jacken.“ Das Arbeitsumfeld belastet die Näherinnen nicht nur körperlich. Auch psychisch ist der Druck enorm.

 

Laut Berndt Hinzmann von der Kampagne für Saubere Kleidung, die sich für bessere Bedingungen der Arbeiter in der Textilindustrie einsetzt, sind die Zulieferer und Fabriken der Modehäuser verstärkt aggressiven Einkaufspraktiken ausgesetzt. Die Brands drohen damit, Aufträge zurückzuziehen, wenn Preis und Liefertermin nicht ihren Vorstellungen entsprechen. Dieser Druck wird wiederum an die Näherinnen und Näher weitergegeben, die Überstunden leisten müssen oder keinen Lohn bekommen.

 

Nicht nur schwere, sondern auch lebensgefährliche Arbeit

 

In This Fabrik wurden die verschiedenen Arbeitsschritte auf Gruppen verteilt, die jeweils einen Gruppenleiter hatten, wie zum Beispiel das Anfertigen der Schnitte. Eine Liste informierte am Anfang des Monats darüber, welche Stückzahl erreicht werden muss – egal wie viele Stunden dafür nötig sind. Doch nicht nur strenge Gruppenleiter, sondern auch die Mitarbeiter übten untereinander Druck aus. „Wenn sie schneller nähen als du, machst du ja ihren Schnitt kaputt. Deshalb pushen sie dich auch und fragen, wieso du so langsam arbeitest oder wo ihre Ware ist, weil sie ja auch weiternähen müssen“, erinnert sich Thi. „Es kann auch sein, dass die Geschäftsführung den Gruppenleitern sagt, dass sie einen Mitarbeiter unter Druck setzen sollen, damit der dann von alleine kündigt. Das wird nicht laut kommuniziert, aber das bekommt man mit.“

In anderen Fabriken, zum Beispiel in Bangladesh, herrschen sogar lebensgefährliche Arbeitsbedingungen. So sind die Arbeiter schutzlos Färbemitteln und Chemikalien ausgesetzt, die sich in die Haut und die darunter liegenden Gewebe fressen. Eine anlässlich der Olympischen Spiele 2008 in Peking durchgeführte Studie der Kampagne für Saubere Kleidung legte die katastrophalen Sicherheits- und Gesundheitsvorkehrungen in den untersuchten Betrieben in China, Indien, Indonesien und Thailand offen.

 

Doch auch die Näherinnen an This Arbeitsplatz erzählten ihr, dass in einer lokalen Schuhfabrik teils giftige Kleber benutzt wurden, mit der Folge, dass die Arbeiterinnen unfruchtbar wurden. „Dagegen war meine Firma nicht ganz so schlimm.“

 

Fehlende Transparenz ist das Problem

 

Doch wie ist das heute noch möglich? Wieso werden diese Betriebe und die Marken, für die sie produzieren, nicht sanktioniert?

 

Laut Fashion Revolution (ein global vernetzter Zusammenschluss von Menschen, die in der Modebranche arbeiten und sich für Fair Fashion engagieren) ist die Transparenz in der Fast Fashion gar nicht so einfach zu realisieren. Der Großteil der Modemarken und -händler lagert die Produktion auf hunderte, manchmal sogar tausend externe Manufakturen und Lieferanten aus, die wiederum eigene Verträge mit kleineren Fabriken schließen. Diese globalisierte Lieferkette kann deswegen nicht so einfach kontrolliert werden. Dies nutzen einige Marken allerdings auch als Vorwand, um sich vor der Verantwortung für die Art und Weise, wie ihre Produkte hergestellt werden, zu drücken.

 

Thi wusste nicht, für welche Marken sie in der Fabrik in Haiphong nähte; die Belegschaft wird darüber nicht informiert. Auch über die Etiketten lässt sich nichts herausfinden. „Den Näherinnen ist auch nicht bewusst, dass die Produkte für viel Geld verkauft werden und ihnen viel zu wenig bezahlt wird.“ Für einen Monat bekam Thi umgerechnet 50 Euro. Ihren Lohn verteilte sie an die anderen Näherinnen. „Sie haben mir viel geholfen, und es ging mir nicht um das Geld.“ Ab umgerechnet ca. 500 Euro kann ein Arbeiter in Vietnam eine kleine Familie ernähren. Dieser Lohn ist also auch im lokalen Vergleich sehr gering – und vor allem unfair. Denn der Anteil des Lohns einer Näherin am Produkt-Verkaufspreis liegt laut Berndt Hinzmann nur zwischen 0,4 bis ein Prozent. Laut der Studie von Clean Clothes Campaign verdienen auch die Textilarbeiter in anderen asiatischen Ländern bis zu 50 Prozent weniger als der gesetzlich festgelegte Mindestlohn.

 

„Ich finde es sehr wertvoll, als Modestudentin dort gewesen zu sein. Auch wenn ich später nicht direkt Kleider herstelle, sondern entwerfe, ist es ja dieselbe Branche“, resümiert Thi. Trotz der harten Zeit ist sie froh, diese Erfahrung gemacht zu haben. „Ich habe davor sehr unbewusst Mode konsumiert, mir waren die Hintergründe nicht so wichtig. Erst als ich alles gesehen und erlebt habe, bin ich aufmerksamer geworden und gehe jetzt auch verantwortungsvoller in meinen Beruf. Ich achte zum Beispiel auf die Stoffmengen und versuche, so wenig wie möglich zu verschwenden.“ Eine Erfahrung, von der sicher nicht nur Studierende im Modebereich profitieren würden. Denn neben den Herstellern sind es die Konsumenten, die den nötigen Druck ausüben können, damit mit der Nachfrage auch das Angebot an fair produzierter Mode steigt.

 

Stand 2019

Titelfoto: Meryem Sener

Fotos Seitenleiste: Thi Nyguen, Meryem Sener

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