INTERVIEW: ETHISCHER LUXUS – THE WEARNESS

INTERVIEW Sintia Blakaj

 

Gemeinsam mit drei Kolleginnen betreibt Julia Zirpel the wearness – einen Online-Marketplace für ethisch produzierte Mode, Beauty und nachhaltigen Luxus. Wie das alles zusammengeht, erklärt sie im Interview.

 

Raus aus der myself Moderedaktion und ab ins Abenteuer  Selbstständigkeit — was hat dich dazu gebracht, diesen Schritt zu wagen?

Es gab verschiedene Aspekte, die zusammengekommen sind. In den letzten 20 Jahren habe ichin unterschiedlichen Redaktionen gearbeitet und in dieser Zeit erlebt, wie stark sich die Modebranche verändert hat. Ich liebe Mode nach wie vor und glaube nicht, dass man sie als unwichtig abtun kann. Dennoch gibt es viele Probleme, etwa die viel zu schnell produzierten Kollektionen, die wöchentlich komplett neu in den Geschäften erscheinen. Dadurch entsteht ein Wertverlust, der der Qualität und der Langlebigkeit der Kleidungsstücke schadet.

 

War Nachhaltigkeit für dich da schon ein Thema?

Nein, nicht auf Anhieb. Ich habe, neben meiner Tätigkeit bei myself, ein Innovation Management und Creative Leadership Studium in Amsterdam absolviert. Dabei ging es hauptsächlich um neue strategische Ansätze, die auch soziale Aspekte berücksichtigen, und wie Unternehmen diese in Zukunft umsetzen müssen. Erst dadurch ist mir bewusst geworden, dass das Thema Nachhaltigkeit wichtig ist, vorher hat es mich gar nicht angesprochen.

Wir als Team von the wearness wollen das Interesse dafür wecken, daher präsentieren wir seit 2017 coole Marken wie Mykke Hofmann oder Pallas Paris und schaffen dadurch ein neues hochwertiges Umfeld zum Thema Nachhaltigkeit. Vor allem für mich als Modejournalistin war es wichtig, mit unserem Online-Shop nicht nur die Optik im Blick zu haben, sondern auch ein Augenmerk auf die Hintergrundgeschichte zu legen und so dem Kunden mehr Transparenz bieten zu können.

 

Momentan findet ein regelrechter Hype um Nachhaltigkeit statt, aber wie sehr hat sich deiner Meinung nach die Branche wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt?

In den letzten zwei Jahren hat sich sehr viel getan. Ich merke allein an den zahlreichen Anfragen, die wir bekommen, dass das Thema wichtig ist und stark diskutiert wird. Wir haben immer versucht Redaktionen zu bespielen, aber das klappte zu Beginn nicht wirklich, weil die Produkte nicht hundertprozentig zur Ästhetik vieler Modemagazine gepasst haben. Die Teile mussten einfach begehrlicher und sexyer sein. Dann funktioniert Nachhaltigkeit auch in den klassischen Medien.

 

Also muss nachhaltige Kleidung den heutigen Trends entsprechen, um sich verkaufen zu können? Wie sehr steht die Ästhetik für The Wearness im Vordergrund?

Ich glaube, die Ästhetik macht den Unterschied. Nachhaltigkeit sagt eigentlich nur aus, wie ein Stück hergestellt wurde oder woraus es besteht, aber momentan verbindet man nachhaltige Mode mit einem langweiligen, eintönigen Stil. Zudem wird ein nachhaltiges Produkt nie über den Preis konkurrieren können, darüber brauchen wir uns nicht zu definieren. Wenn es aber besonders und nicht an jeder Ecke zu haben ist, dann kann es sich durchsetzen. Die Ästhetik ist daher essenziell, um Begehrlichkeit zu erzeugen.

 

The Wearness bewegt sich vor allem im höheren Preissegment. Geht nachhaltig überhaupt günstig?

Ganz günstig sicherlich nicht. Nachhaltige Produkte werden nie Preise von Fast-Fashion-Ketten wie Primark und Co. haben können. Natürlich gibt es mal ein T-Shirt von Lidl, das aus Organic-Cotton gemacht ist, aber auch da fragt man sich, wie nachhaltig diese Shirts wirklich sind. Ich finde, es ist wichtig, sich selbst zu erziehen und sich gut zu überlegen, ob man jetzt wirklich das zehnte weiße Oberteil braucht. Passt es zu mir? Wie kann ich es kombinieren? Diese Fragen stelle ich mir nur, wenn ich mehr Geld hinlegen muss, bei den günstigen Teilen überlegt man heute viel zu wenig. Meiner Meinung nach sollten bestimmte Mindestpreise auch für Modeartikel festgelegt werden, damit sie nicht mehr als Wegwerfprodukte gesehen werden.

 

Sind die Konsumenten auch bereit, mehr für nachhaltige und transparente Mode auszugeben? Siehst du einen allgemeinen Wandel des Konsumverhaltens?

Das fängt gerade an, vor allem, weil momentan viel über Nachhaltigkeit diskutiert wird. Vielen ist noch nicht bewusst, dass die Modeindustrie der zweitgrößte Umweltverschmutzer der Welt ist. Bei den Jüngeren merkt man, dass sie genauer wissen wollen, woher ihre Klamotten kommen. In einer Deutschland-Test-Umfrage gaben 60 Prozent an, dass Nachhaltigkeit ihre Kaufentscheidung unterstützt. Trotzdem gibt es noch zu viele Fast-Fashion-Konsumenten, weshalb wir noch ganz am Anfang stehen.

 

Welche Kriterien müssen eure aufgelisteten Labels erfüllen und wie bewertet ihr Siegel beziehungsweise Zertifikate ?

Viele Siegel kosten Geld, und wir arbeiten viel mit kleinen Firmen zusammen, die sich das noch nicht leisten können. Zudem gibt es zu viele unterschiedliche Siegel, die kaum was über die Herkunft des Kleidungsstück aussagen — ein Zertifikat für das Material verrät mir überhaupt nichts über die Produktionsbedingungen. Jeder kann heute ein Siegel entwickeln, also gibt es da auch keinen geschützten Raum. Es blickt keiner mehr wirklich durch! Für mich spielen Siegel daher keine so große Rolle. Ich finde es interessanter, die Hintergrundgeschichte der einzelnen Firmen zu kennen und zu wissen, wie sie wirklich produzieren. Jedes Label definiert Nachhaltigkeit anders, ausunterschiedlichen Perspektiven. Für manche gilt Nachhaltigkeit nur, wenn die Produkte vegan sind, für andere stehen Qualität, Herstellung oder faire Arbeitsbedingungen im Vordergrund.

 

Nach einer Studie der Uni Bamberg geht jede sechste Onlinebestellung zurück. Nun wird viel diskutiert, wie nachhaltig der Online-Handel Versand sein kann. Wie seht ihr das?

Das ist auch für uns ein großes Thema. Ich glaube, der Rückversand im Online-Verkauf lässt sich noch nicht richtig lösen, weil die einzelnen Teile häufig nicht passen. Wir versuchen zwar, unsere Kunden darauf hinzuweisen, so wenig wie möglich zurückzuschicken, aber wenn es nicht passt, passt es nun mal nicht. Es gibt ja auch die Gegenrechnung, dass Onlinekäufe trotzdem weniger CO2 verursachen, weil die Leute nicht alle ins Geschäft fahren und wieder zurück, sondern Bestellungen gesammelt ausgeliefert werden. Dennoch gibt es noch vieles hinsichtlich des Versands zu verbessern, woran wir momentan auch arbeiten, in Form von nachhaltiger Verpackung beispielsweise.

 

Die größten Hürden beim Aufbau eines nachhaltigen Online Shops?

Themen wie Finanzierung oder technische und rechtliche Dinge. Gebiete, in denen wir uns nicht hundertprozentig auskennen, waren eine Herausforderung. Es ist ein weiter Weg, bis man einen bestimmten Bekanntheitsgrad erreicht und eine gewisse Anzahl an Bestellungen hat. Wir müssen alle noch nebenher arbeiten, damit sich das Ganze finanzieren lässt.

 

Wie sehr hat sich dein Leben nach der Gründung von The Wearness verändert?

Weil ich in erster Linie von zu Hause aus arbeite, muss ich nicht mehr jeden Morgen ins Büro fahren. Auch die Arbeitszeiten sind anders. Ansonsten hat sich natürlich mein Konsumverhalten insgesamt geändert. Ich habe für mich selbst die Maxime gesetzt, nicht mehr innerhalb Deutschlands zu fliegen, sondern den Zug zu nehmen. Das ziehe ich auch durch. Aber ich bin nicht perfekt, glaube jedoch an die Theorie der kleinen Schritte und daran, dass dieses Thema in allen Lebenspunkten präsent sein müsste.

 

Wie sieht eure Zukunft aus?

Wir sind momentan mit verschiedenen Investoren im Gespräch, um den Shop breiter aufzustellen und marketingmäßig mehr Power zu geben. Wir überlegen zudem, Kinderkleidung mit aufzunehmen. In Richtung Lifestyle und Möbel gibt es für uns auch viele Wachstumsmöglichkeiten. Wir wollen neben Deutschland auch andere Länder mit The Wearness erreichen und natürlich im Versand wachsen. Eine weitere Idee wäre, Pop-Up Stores zu organisieren, wo unsere Kunden die Möglichkeit hätten, unsere Stücke real zu entdecken.

 

Foto: Wolfgang Müller