ZWISCHEN NOT UND
NOTWENDIGKEIT

Die schwere Arbeit der Frauen in den Textilfabriken

TEXT Adina Strüwer

 

Wer bezahlt eigentlich den Preis für unsere billige Kleidung? Viele Frauen schuften in den Billiglohnländern für unseren Massen- und Luxuskonsum? Wie kann man ihnen helfen? Ein Boykott ist wenig sinnvoll, weil die Näherinnen dann ihre Arbeit verlieren. Aber es gibt schon gute Initiativen, die ihre Arbeitsbedingungen wesentlich verbessern helfen.

 

„Ich bin gerade 19 Jahre alt. Aber ich habe schon drei Jahre Erfahrung in einer Bekleidungsfabrik. Ich komme aus einem Dorf im Süden. Ich bin die Älteste von sechs Geschwistern. Als mein Vater krank wurde und nicht mehr arbeiten konnte, musste ich die Schule verlassen und eine Arbeit aufnehmen. Auf dem Land aufgewachsen, 16 Jahre alt, sieben Jahre Schulbildung, da hatte ich nicht viele Möglichkeiten. Alles, was ich finden konnte, war eine Stelle in der Textilfabrik.

In der Fabrik arbeite ich täglich so lange, wie angeordnet wird. Es ist unmöglich, nach acht Stunden den Arbeitsplatz zu verlassen. Jede Arbeiterin hat eine festgelegte Arbeitsmenge zu erledigen, bevor sie geht. In der letzten Woche habe ich sieben Tage gearbeitet, auch am Freitag, unserem Feiertag. Um die Arbeit zu behalten, muss ich zu jeder Zeit bereit sein zu arbeiten und mit jeder Arbeitszeit einverstanden sein. Oft arbeite ich die ganze Nacht. Bei der Bezahlung werden wir auf verschiedene Weise betrogen. Unregelmäßige Lohnauszahlung, falsche Lohnabrechnung, kein Urlaub, das ist meine Erfahrung in meiner Arbeit. Der Lohn wird aufgrund der sogenannten Anwesenheitskarte berechnet. Die Karte muss am Monatsende dem Aufseher ausgehändigt werden. Bei der Lohnauszahlung, auch wenn die Arbeiterin nicht einen Tag fehlte, werden Abwesenheitstage berechnet und der Lohn entsprechend gekürzt. Wer protestiert, wird als Lügnerin beschimpft und die Entlassung wird angedroht.“ Das berichtet die Näherin Rekha aus Bangladesch in einer Publikation der Kampagne für Saubere Kleidung 2008.

An was denken Sie, wenn Sie sich ein neues preiswertes T-Shirt kaufen? Sehen Sie nur das T-Shirt als neues Kleidungsstück? Oder denken Sie auch an die Geschichte dahinter? Ähnlich wie Rheka geht es tausenden anderen Frauen, die wie Sklavinnen in den Textilfabriken dieser Welt billige Mode für uns anfertigen. Nach China ist Bangladesch der zweitgrößte Textilexporteur der Welt. Mehr als drei viertel der Arbeitskräfte in den Textilfabriken sind Frauen. Armut, geringe Bildung und mangelnde Alternativen sind die Hauptgründe dafür, warum viele junge Frauen einen Arbeitsplatz in der Textilindustrie suchen. Ihnen werden attraktive und vielversprechende Jobs angeboten. Neben einer guten Bezahlung werden ihnen oft sogar drei Mahlzeiten am Tag versprochen oder Wohnmöglichkeiten in Wohnheimen sowie weitere Sozialleistungen. Überwiegend junge Frauen aus dem ländlichen Bereich willigen ein und glauben an eine vielversprechende Zukunft in der Textilbranche. Ihre Hoffnungen und Wünsche sind jedoch nur von kurzer Dauer.

Arbeitsrechtsverletzungen sind die Regel
Kaum eine der Frauen besitzt einen Arbeitsvertrag oder hat je eine Gehaltsabrechnung gesehen. Aufgrund dieser fehlenden Unterlagen können die Frauen keinen Nachweis über ihre Anstellung erbringen. Sie können sich deshalb nicht über zu geringen Lohn oder gar keinen Lohnerhalt beschweren oder gar ihre Rechte und Ansprüche vor Gericht einklagen. Laut einer Untersuchung der Nichtregierungsorganisation SAVE erhalten nur 9 % der Textilarbeiterinnen in Indien die vom Arbeitgeber versprochene Summe ausgezahlt.
Während ihrer nicht selten 12-stündigen Arbeitsschicht darf die Mehrheit der Arbeiterinnen kaum eine Pause einlegen. Die Frauen arbeiten oft bis zu 100 Stunden die Woche, wobei eine Woche je nach Auftragslage manchmal sogar volle sieben Arbeitstage hat. Vom Recht auf Urlaub haben diese Frauen vermutlich noch nicht einmal gehört. Krankenversicherung oder Mutterschutz gibt es hier nicht. Wird eine Frau schwanger, wird sie entlassen oder muss gleich nach der Entbindung wieder arbeiten. Das Kind bleibt oft weit weg bei den Großeltern und die Mutter sieht es nur selten im Jahr. Diskriminierung, Beschimpfungen und Demütigungen, sogar sexuelle Nötigungen sind an der Tagesordnung. Frauen sind ihren Arbeitgebern schutzlos ausgeliefert, denn sie brauchen das wenige Geld, um ihre Familien zu ernähren. Gleichzeitig können sich diese Frauen nicht wehren. Die meisten Arbeiterinnen sind aufgrund mangelnder Kenntnisse über ihre Rechte, ungenügender finanzieller Mittel und aus Zeitmangel nicht in der Lage, ihre Rechte einzuklagen. Die Gründung von Arbeitnehmervertretungen oder Gewerkschaften wird massiv verhindert, die Mitglieder teilweise sogar bedroht. Neben erschöpfungsbedingten Krankheiten sehen etliche junge Frauen nach einiger Zeit in der Fabrik keinen Ausweg mehr und begehen Selbstmord.

Mangelnde Sicherheit am Arbeitsplatz
Frauen sind besonders von der schlechten Sicherheit am Arbeitsplatz betroffen. Als am 24. April 2013 in der Nähe von der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch das riesige Fabrikgebäude Rana Plaza einstürzte, war der Großteil der Opfer Textilarbeiterinnen. 1142 Menschen wurden getötet und 2438 zum Teil schwer verletzt. Namhafte westliche Modeketten ließen hier produzieren, obwohl die mangelnde Sicherheit bekannt war. Die Polizei hatte vorher den Zutritt zum einsturzgefährdeten Gebäude verboten, dennoch zwangen viele Fabrikbetreiber die Arbeiterinnen in ihre Fabriken. Inzwischen hört man auch im Westen von den tragischen Schicksalen der Opfer. Schwer verletzte Frauen, die nicht mehr arbeiten können, werden von ihren Männern verlassen oder aus der Familie vertrieben, da sie nicht mehr zum Familienunterhalt beitragen können. Organisationen und Kampagnen wie die Clean Clothes Campaign, Terre des Femmes e.V. oder Femnet fordern deshalb einen angemessenen Entschädigungsfonds für die Opfer der Katastrophe.

Verantwortung übernehmen
Welche Verantwortung haben wir als Kund_innen? Wichtig ist es, sich genau zu informieren. Es gibt bereits einige Siegel, die zusichern, dass Textilunternehmen auch in den Billiglohnländern für gute Arbeitsbedingungen und fairen Lohn sorgen. So setzt sich z.B. die Fair Wear Foundation für einen sicheren Arbeitsplatz, für einen gerechten Arbeitslohn und gegen die Diskriminierung von Frauen ein. Auch das GOTS-Siegel zertifiziert Unternehmen mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. Mutige Frauen in den Produktionsländern versuchen durch die Gründung von Gewerkschaften, ihre Rechte einzufordern und ihre Situation zu verbessern, und werden durch Organisationen wie Terre des Femmes oder FEMNET dabei unterstützt. So hilft FEMNET z.B. durch Spenden für den Solidaritätsfonds, Anwaltskosten zu bezahlen, wenn Frauen Arbeitsrechtsverletzungen anzeigen möchten. Zudem führt FEMNET ein Projekt in einigen Textilfabriken in Indien durch, das die Kleinkindbetreuung in den Fabriken sicherstellen soll – eine enorme Hilfe für junge Mütter und für die Kinder eine Chance, den Teufelskreis aus Armut und Ausbeutung durchbrechen zu können.

Es ist an der Zeit, Kleidung verantwortungsvoll zu kaufen!

 

Stand 2016

Näherin in BANGLADESCH; FOTO: FEMNET e.V.
Näherin in BANGLADESCH; FOTO: FEMNET e.V.
Schlafende Näherinnen in Bangladesch; FOTO: FEMNET e.V.