Profit für Milliarden Tränen

Profit für Milliarden Tränen

Das Unglück von Rana Plaza jährt sich 2019 zum sechsten Mal. Die Modewelt ist seitdem nicht mehr die gleiche. Doch was hat sich in den letzten Jahren tatsächlich verändert?

TEXT: Jakob Liese

Seit sechs Jahren versucht die Industrie, aus dem tragischen Unfall zu lernen. Seit sechs Jahren versucht die Industrie, die katastrophalen Arbeitsbedingungen, die sich damals offenbarten, aus den Köpfen der KonsumentInnen zu verdrängen. Seit sechs Jahren versucht die Industrie, Produktionsstätten sicherer zu machen. Es wurde viel dafür getan. Doch nur wenig hat sich verändert.
Am 24. April 2013 bricht in Banglade- sch das Fabrikgebäude Rana Plaza zusammen. Die Trümmer begraben mehr als 1100 Menschen unter sich. Mehr als 2500 werden verletzt. Nicht zum ersten Mal werden KonsumentInnen der westlichen Welt mit den gnadenlosen Bedingungen konfrontiert, unter denen ihre Kleidung hergestellt wird. Doch jetzt kann keiner mehr wegschauen. Die Welt ist sich einig: Es muss sich etwas ändern. Sofort. So etwas darf es nicht mehr geben. Keine derartigen Unglücke mehr. Keine menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. Erst recht nicht in der sonst so schillernden Modebranche.
Dabei hätte es gar nicht so weit kom- men müssen. Auch wenn versucht wird, die Nachricht weitestgehend vor der Öffentlichkeit zu verbergen; bei den Ermittlungen wird schnell klar: Der Einsturz war kein unglücklicher Unfall. Das Fabrikgebäude hatte acht Etagen. Drei davon waren illegal errichtet worden. Mehr Platz, mehr Produktion, mehr Geld. Außerdem sagen viele ArbeiterInnen später aus, sie hätten bereits am Tag zuvor große Risse im Gebäude bemerkt und diese gemeldet. Trotzdem ging die Produktion am nächsten Tag weiter. „Gier, Eile, die Verantwortungslosigkeit der Unternehmen und ein Geschäftsmodell, das die Ausbeutung der Schwächsten – schlecht bezahlte TextilarbeiterInnen – zur Grundlage hat, waren die eigentlichen Ursachen des Rana-Plaza-Einsturzes“, so Livia Firth.

Ein Tag, der die gesamte Branche erschüttert

Seit 2007 ist sie Öko-Aktivistin und berät mit ihrer Agentur Eco-Age Firmen in Sachen Nachhaltigkeit. Das Unglück wäre vermeidbar gewesen. Die Welt schrie auf. Und die Modeindustrie machte weiter: Die Trümmer wurden beseitigt, traumatisierte Menschen gingen wieder arbeiten. Die Branche jedoch konnte nicht so tun, als sei nichts passiert und reagierte: Das Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch wurde beschlossen. Eine rechtsverbindliche Vereinbarung, angelegt auf fünf Jahre. 200 Marken und Gewerkschaften unterschrieben, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz in der Bekleidungsindustrie in Bangladesch zu erhöhen. Ein aktualisiertes Abkommen, das auch einen Beschwerdemechanismus einführt, wurde erst von 140 Marken unterzeichnet.

Zusätzlich wurde das Rana Plaza- Abkommen getroffen. Dabei sollten Marken in einen Ausgleichsfonds ein- zahlen. Einige Zahlungen mussten jedoch auf dem Klageweg geltend gemacht werden und erfolgten erst Jahre später. Das zeigt: Die Industrie bleibt uneinsichtig und in vielen Strukturen unverändert. Es geht nach wie vor primär um Geld.

Glücklicherweise blieb die Katastrophe von Rana Plaza nicht ganz ohne Folgen. Die neuen Sicherheitsbestimmungen haben tatsächlich etwas verändert. „Vor dem großen Unfall im Rana Plaza hatten wir um die 200 ArbeiterInnen im Jahr, die durch Feuer oder Gebäudeeinstürze ums Leben gekommen sind. Heute sind es weniger als fünf bis zehn Menschen.“ Das sei eine große Verbesserung, berichtet Kalpona Akter, Gewerkschafterin in Bangladesch. Das mag für die dortigen Verhältnisse ein Fortschritt sein. Für Menschenrechtsstandards sind es immer noch zehn Tote zu viel.

Stand 2018

Foto: Jaber Al Nahian/Flickr: Dhaka Savar Building Collapse